Das Zusammenspiel morphologischer Einzelheiten bei Rosen

– und die Gestaltung von Gärten und Landschaft.

Das Gesetz der ungeraden Anzahl …

Ein Zusammenspiel morphologisch-anatomischer Einzelheiten erzeugt in uns die Wahrnehmung von Schönheit. Bei einer kleinen Anzahl gleicher oder identischer Gestaltungselementen ist eine Regel der Gartenarchitektur, dass eine gerade Anzahl formale Strenge in unserem inneren Auge wachruft, eine fast „soldatisch“ zu nennende Ordnung: eine symmetrisch gepflanzte Allee von Bäume gleicher Art, Größe und Form zum Beispiel; oder in Form geschnittene Buchs-Sträucher, gleichförmig verteilt, etwa rechts und links an einem Gartenweg oder einem Hauseingang.

Die Paarhaftigkeit von anatomischen Merkmalen eines Gesichtes, das vermeintlich identische Spiegelbild der linken zur rechten Gesichtshälfte erzeugt zugleich in unserem inneren Auge das Bild symmetrischer, geordneter Schönheit. Abweichungen von dieser Symmetrie nehmen wir sofort wahr, empfinden diese Abweichungen als störend, mitunter belustigend, als von der Norm abweichend – und bezeichnen derlei Gesichter gelegentlich als „Charakterkopf“: als unverwechselbarer Ausdruck eines Gesichtes.

Gartengestalterisch erzeugt eine gerade Anzahl von Elementen und deren gleichförmige Anordnung jene symmetrische Strenge im Auge des Betrachters insbesondere dann, wenn deren Anzahl weniger als etwa zehn Einzelelemente umfasst. Bei zwei, vier, sechs oder auch acht Elemente eines symmetrisch gestalteten Bereiches nehmen wir die Einzelelemente noch in deren Anzahl wahr. Bei einer „unüberschaubaren“ Anzahl einzelner Elemente nehmen wir notgedrungen den ganzen Bereich als wohl geordnete Gestaltung wahr, wie bei einer sich vermeintlich endlos dahinziehenden Baum-Allee.

Gartengestalterisch störend wäre eine Lücke in dieser Allee, etwa ein abgestorbener oder gefällter Baum in den Reihen. Würden wir diese Lücke nicht durch eine Neupflanzung schließen, sondern etwa durch einen gar betont abgesetzten Rahmen hinsichtlich Material und Form, also aus Metall zum Beispiel in rechtwinkliger Form, würden wir diese unterbrochene Gleichförmigkeit der Allee nicht mehr als störend, sondern als gestaltet ansehen: Ein Fenster aus dieser Allee hinaus in die umliegende Landschaft.

Eine naturnahe Gartengestaltung lebt von den ungeraden Zahlen, von Brüchen strenger Symmetrie, ungerade Zahlen, die ihrerseits zwar in der Lage sind, auch eine formale Ordnung zu erzeugen, jedoch ohne jede „soldatische“ Anordnung.

Drei Bäume in gleichem Abstand zu einem Tuff gepflanzt, es entsteht ein organisches Ganzes, jedoch ohne strenge Linien wie bei einer Allee. Drei unterschiedlich mit der Schere geformte Buchs-Sträucher links und rechts am Eingang ins Haus lehnen sich zwar an barocker Gestaltung an, jedoch ohne deren strenge symmetrische Ordnung. Stehen diese Formgehölze eingefasst in „bunten Beeten“, setzen sie als Formelemente betont Akzente in der Gestaltung des Gartens.

Vielfalt und Asymmetrie erzeugen naturhafte Bilder, Gleichartigkeit in Farbe und Form hingegen schafft Strenge und Strukturen; gegenseitig hervorhebend ist es, wenn beides sich kombiniert.

Naturrosen haben von Haus aus fünf Blütenblätter; wie eigentlich fast alle Rosengewächse (Obstgehölze, Birne, Kirsche, Erdbeere etwa). Allein Rosa sericea (die “Stacheldrahtrose”) schert bei der Rose hier aus, sie begnügt sich mit vier Petalen je Blüte.

Die Anzahl der Kelchblätter ist ungerade und auch die Fiederblätter des Laubes sind drei, fünf, sieben, neun oder mehr in deren Zahl: Es sind stets ungerade Zahlen.

Die Nebenblätter oder „Öhrchen“ in der Laubachse indessen zeigen wieder Symmetrie – wie das menschliche Gesicht spiegelt sich die linke in der rechten Hälfte.

Die Anordnung und die Formen der Stacheln an den Trieben sind in der Regel ungleichmäßig, fast willkürlich am Trieb verteilt zu benennen. Mitunter sind die Stacheln an einem Trieb sehr unterschiedlich oder variieren je nach Austrieb und Alter, etwa wie bei “Betty” zu beobachten. Obgleich die borstige Bestachelung der Grundtriebe dieser Rose gleichförmig erscheint – etwa wie das Stachelbild bei einem Igel – sind die Einzelborsten jedoch nicht nach einer erkennbaren Regel geordnet und unterschiedlich in deren Größe: Wir nehmen auch hier das Gesamtbild wahr, nicht eine symmetrische Anordnung der einzelnen Elemente, der einzelnen Borsten oder Stacheln.

Ähnlich ergeht es uns bei der Wahrnehmung einer offenen Rosenblüte mit den Staubwedeln, deren Anzahl wir nicht mit einem Blick bestimmen können: Wir nehmen die Staubwedel als radial geordnetes Ganzes wahr, in deren Mitte die Narbe sitzt.

Eine Narbe, eine unbestimmte Anzahl von kreisförmig geordneten Staubwedel – ähnlich jenem gepflanzten Tuff aus drei Bäumen – eingefasst von fünf Blütenblättern: Es beschreibt die organische Grundform einer jeden Rose (wenn ich einmal hinsichtlich der Petalen von der “Stacheldrahtrose” absehen darf).

Übertragen auf die Gestaltung eines Gartens erzeugt eine ungerade Anzahl von Elementen die Wahrnehmung von Natürlichkeit oder Ungezwungenheit. Die Zusammenfassung gleicher Elemente zu einer Fläche oder zu einer Form, etwa Stauden gleicher Sorte in einem Teilbereich eines Beetes, erzeugt einen ähnlichen Charakter wie die Farbe und die Anordnung der Staubwedel bei einer Rosenblüte.

Die Gartenarchitektur erfindet die Welt nicht neu, sondern schaut – unausgesprochen oder betont Bezug nehmend – von der Natur ab.

Eine (mögliche) gelungene Gartengestaltung ist eine intuitive oder bewusste Nachahmung der Natur.

Wie wir jene von uns unbeeinflussten Gegebenheiten der Natur als schön wahrnehmen, so gestalten wir mit diesen Bildern in uns unseren Garten.

Die Gartengestaltung des Barock indessen fusste auf die Idee, die Natur in ihrer Ungezähmtheit bezwingen und beherrschen zu können: Der Mensch als Krönung der Schöpfung nimmt das Zepter der Gestaltung der Welt in die eigene Hand. Eine Epochen prägende, zugleich bis heute in unterschiedlicher Ausprägung nicht auszutreibende Spielart der Hybris.

Die Träume moderner Genetik haben barocke Züge im Glauben, mit dem vorhandenen Wissen über die Bausteine des Lebens selbstbestimmt Leben gestalten zu können; ebenso geprägt sind die Formen moderner Landwirtschaft, die mittels satelliten-gesteuerter Technik ermitteln, welchen Ertrag das Feld erbringt, bevor es geerntet ist und schon den Weizen handelt, der noch an den Ähren hängt – und vielerlei Beispiele mehr.

Die philosphisch und religös motivierte, regelgeleitete Betrachtung der Welt des Barock erzeugte jene Formen der Gestaltung im Park und Garten, die wir in der Natur selbst eigentlich nicht vorfinden: gerade Anzahlen, gleichförmige Anordnung, geometrische, wenngleich verspielte Strenge, gar „spitze“ Formen wie dreieckige Beete als Einzelelement eines geometrischen, symbolhaften Ganzen; der Charakter einer barocken Parkanlage … und zugleich ein Spiegel einer möglichen Interpretation der Welt.

Was ich vom Barock gelernt habe ist, dass der Mensch in der Lage ist, nicht nur ein Abbild der Natur zu erschaffen, sondern ein eigenes, kunsthaftes Gebilde, welches nicht allein gestalterisch motiviert war und ist, vielmehr seine treibende Kraft in der menscheneigenen, religiös zu benennenden Haltung hat: Die Herrlichkeit Gottes in der selbstgeschaffenen Kunst zu spiegeln; sei es in der Malerei, in der Architektur oder in der Gestaltung von Garten und Park. Wie in jeder Epoche sind auch die Stilelemente des Barock ein charakteristisches (wenngleich nicht einheitliches) Abbild der Kommunikation der Menschen der jeweiligen Zeit. Ein Abbild seiner religiösen-philosophischen Haltung seiner selbst und der Welt: In der Kunst können wir den Wandel der Selbstbetrachtung des Menschen ablesen.

Die Gestaltung von Garten und Park heute erscheint eher schlicht, bald schon nüchtern motiviert: Es soll uns schön sein!

Gartengestaltung nach Farben etwa ist leitender als ein religiöser Antrieb oder als die Repräsentanz von Größe und Macht. Letzteres findet sich eher rudimentär bei der – sagen wir es höflich – unglücklichen Gestaltung eines 70er Jahren Bungalows mit Säulenportal und weissen Löwen an der Garagenzufahrt …

Ich wünsche mir eine Epoche der Ökologie, der Rückbesinnung auf unsere Herkunft, auf unsere Wurzeln in der Natur, ohne die wir nicht sein und auch nicht gestalten können. Und diese Epoche der Rückbesinnung auf unsere natürlichen Wurzeln sollte nachhaltig sein, sich, wie es sich heute als „Trend“ abzeichnet, gerne als Epoche einleiten, jedoch nicht als eine Epoche enden, sondern sich fortlaufend entwickeln und vertiefen.

Die anthropozentrische Weltsicht und die einhergehende Überhöhungen des Menschen im Spiegel des Barock, eingeleitet durch die mir näherliegende Renaissance, mit deren Wiederbelebung und Aneignung des Wissens der griechischen und arabischen Welt, und schließlich die Entwicklung der sogenannten Aufklärung, die dem Barockzeitalter folgte und sich in Teilen der Welt durchsetzte, all diese Epochen rückten das, was wir gemeinhin mit „Gott“ bezeichnen, jenseits unser wahrnehmbaren Welt: Epochen spiegeln stets eine Selbstwahrnehmung des Menschen wider und eine Interpretation der Welt, in der er sich selbst entdeckt.

In der Garten- und Landschaftsgestaltung wäre es zu begrüßen, dass sich unser Wissen um ökologische Zusammenhänge prägend und dauerhaft durchsetzt. Biologischer Landbau ist keine Renaissance einer überalterten Wirtschaftsweise, sondern ein zeitgemäßer, nachhaltig zu verfolgender Umgang mit der Natur. Die moderne Garten- und Landschaftsgestaltung heute sollte diesen Weg ebenfalls in den Blick nehmen.

Sehen wir uns als Gäste, nicht als Eigentümer der Welt, verringern sich auch jene Selbstwahrnehmungen, die zwar Epochen prägend waren, jedoch der Natur und unserer Stellung in ihr eher zuwider liefen.

Spalierbirne 2019 Unsere Spalierbirne „Gute Luise“, ein Rosengewächs in der Gartengestaltung …