Durch Austin ist die Interpretation eines zeitlich gesetzten Klassifikationsbegriffs, nämlich den der Alten Rosen, für die Rosenwelt ungesund mit Inhalt gefüllt worden, der bestenfalls den Geschmack dieses Züchters in Korrelation mit diversen Zeitgeschmäckern widerspiegelt. Mit den Rosen selbst, die durch diesen Ordnungsbegriff stellvertretend versammelt werden, hat dies freilich nichts zu tun. Die Quintessenz seiner Lehre einmal mehr zitiert:
(…) Englische Rosen sind sozusagen neue ›Alte Rosen‹, man mag den scheinbaren Widerspruch verzeihen.
[Austin, Alte Rosen und Englische Rosen, S. 130.]
Dreist, dass jedoch nicht nur das selektive Auge der Rosenkäufer angesprochen werden soll, sondern via imaginären genetischen Abstammungslinien
(Leander-Gruppe
und dergleichen) auch das halbwegs kritisch bleibende Hirn; schaut man jedoch in diese eigenwillige Abstammungslehre dieses Züchters einmal genauer hinein, schließlich dann auf die vereinnahmten Klassen selbst, sodann – nicht allein der Vollständigkeit halber – auf die Entstehungsgeschichte der verwendeten Ordnungsbegriffe, wird es einem schwindelig, was einem da als Sachliteratur eines Rosenkenners verkauft werden soll.
Der i.d.R. geschäftstüchtige Blick, der derlei adaptiert und auf dem Rosenmarkt willig im freien Zitat verbreitet, macht den Schaden deutlich, den Austins Rosenlehre für die Rosenkultur macht. Wir suchen halbklug Informationen: und lesen allerorts Austin in Variation. Eine Rosenlehre, die jedoch langsam ihren Zauber verliert! Rosengärten/-innen passiert nur noch selten der Fauxpas, Alt und Englisch zu verwechseln! Manchen Rosengärtnern/innen dünkt der eigene Umweg über Austins Kreationen zur Rosenkultur als teuer bezahltes Lehrstück. Ein gebranntes Kind aber darf – im Gegensatz zum Lehrmeister – pauschale Konsequenzen ziehen; so lesen sich die Stellungnahmen in diversen Foren und aus Verkaufsgesprächen nachvollziehbar: »Englische Rosen pflanze ich keine mehr«. Auch die Werbung ist vorsichtiger geworden, wenn sie Erfahrung und Sachkenntnis beim Kunden wittert. Gut so. Die gärtnerische Erfahrung schlägt Bahn, dass man die Alten Sorten
bei Austin und Nachahmern überhaupt nicht (wieder) findet!
Warum nicht? Nun, die Antwort ist ganz einfach: Frau, Mann pflanzt Rosen. Keine Ordnungs- oder Marktbegriffe, denen man simplifizierend irgendwelche Eigenschaftsdefinitionen unterschiebt. Verabschiedet man sich von diesem konstruierten Blick auf die Rose, wird er wieder weit und man sieht: eine ungezählte Vielfalt einzelner Arten und Sorten. Eigenschaften satt! Ungezählt! Oft nicht benannt, ausgeblendet zwar aber da.[1] Allesamt Persönlichkeiten! Und die Rosen des modernen Alte-Rose-Management? Ebenso – in jedweder Hinsicht.
[1] Öfterblühen, Gesundheit, Duft, Winterhärte: Die auf dem Rosenmarkt bevorzugten, mit hauseigenen Sternchen–Werten bemühten Eigenschaften. Wuchs stilisiert via Grafik oder wundersam exakten Angaben (»1,75 x 1,25 cm«).
Jene Rubrik »Gesundheit« kennt »Mehltau, Sternrußtau, Rost«; die weit aus schlimmere und ebenso häufig anzutreffende Erkrankung insbesondere in feucht-kühlen Lagen, »Falscher Mehltau«, fehlt fast durchgehend.
Die Bewertungskategorien oder Anmerkungen zur Gesundheit sind hanebüchen: Von »Rose ist resistent« über »Regeneration aus eigener Kraft« bis zu schön geredeten Wahrheiten, hier einmal frei übersetzt: Sorte wird, egal was Sie tun, erbärmlich krank – Gärtnern Sie mit Rückenspritze.
»Regenfestigkeit«, ein leidiges Problem des Rosengärtners, wird bestenfalls umschrieben: »Rose braucht einen sonnigen Standort«. Einen solchen Standort brauchen wir alle.
Fruchtbildung wird kaum thematisiert; ökologische als auch kulturhistorische Aspekte sind grundsätzlich unterrepräsentiert. Die Rose als Gehölz findet sich reduziert auf herausgeputzte Nahaufnahmen der Blüte.
Wellenbewegungen des Marktes …
Wurde die »Englische Rose« vormals exklusiv vermarktet (ähnlich dem Marktsegment »Alte Rosen«) und waren diese Rosen entsprechend hochpreisig und auch nur in Fachbetrieben oder bei Austin selbst zu finden, öffnet nachlassender Verkauf offenbar manchen Betrieben die Tür zu dieser »Exklusivität des Englischen«. Mittlerweile werden »English Roses« allerorts gehandelt, in Baumärkten und angegliederten Gartencenter, in Lebensmittelketten für den Frühjahrsumsatz, vermehrt von Baumschulen, die einst vergeblich bei Austin um die Lizenzvergabe bettelten.
In solchen Läden jedoch findet sich »das Alte« weiterhin erschöpft in einer ‘Louise Odier’, ‘Madame Isaac Pereire’ oder einer ‘Rose de Resht’. Das mag an deren Bekanntheitsgrad und an ihren für das Etikett tauglichen Eigenschaften liegen, duftend und zeitgemäß öfter im Jahr zu blühen.
Kenner der Rosenkultur indessen, zumal mit dem Schwerpunkt Alte Rosen, vermarkten die vermeintlich verbesserte »Neue Alte Rose« erfreulich konsequent seit der ersten Marktschwemme und weiterhin schlicht auf Anfrage
. Solche Fachbetriebe sahen und sehen offenbar nicht die Notwendigkeit, neben den Originalen oder gar an deren Stelle diverse Plagiate auf die eigenen, »aktuellen« Verkaufsflächen zu setzen.
Firma Schütt etwa zeigt sich mir über die Jahre immun gegen Verführungen aller Art, mit »Neuen ›Alten Rosen‹« den Markt abzuschöpfen.
Bei anderen Kollegen schleicht sich mir der Verdacht ein, eine gewisse Reue komme auf, dass Wort »Englisch« allzu verfrüht und nun verbindlich in das hauseigene Firmenwappen verankert zu haben. Die Relativierung dieser überschwänglichen Begeisterung des Anfangs findet sich nun zögerlich in einleitenden Texten zu dieser Rosenreihe, die man mit »verhaltener, marktkompatibler Kritik« umschreiben könnte.
Neuerdings gar vereinzelt als kritische Anmerkung bei den Sorten selbst zu finden. Unter »Besonderes« steht plötzlich nicht nur die übliche Lobhudelei eines »Duftpreises« oder dergleichen, sondern tatsächlich eine zarte Kritik etwa über die Verwendung des Begriffs »Englische Rosen« und dessen Aussagewert als dass hiermit eigentlich
(?!) doch keine eigene Rosenklasse benannt sei … [*]
[*] Dieser Erkenntnisgewinn erscheint jedoch nicht zwingend ein Ergebnis eines eigenen, ordentlichen Nachdenkens desjenigen Kopfes zu sein, der die Feder für solcherart Sätze führte: Die Lektüre in der Rosenwelt lebt vom Abschreiben. Vormals war »Englisch« gleich »Alt«, neuerdings weiß bald ein jeder, eine »ordentliche« Relativierung zu formulieren. Auch hierbei mit einem gesunden Instinkt für die Spielarten und Vorlieben des Marktes …
Solcherart firmeneigene Konsequenz als mutmaßlich notwendige Reaktion auf den Markt spiegelt sich auch in einem Umrüsten des Sortiments wider: breit gestreut wächst das Angebot der »Alten Sorten«. Es erscheint mir also, dass die Nachfrage nach diesen »Alternativen« wieder erfreulich ansteigt.
Dies dürfte wohl nachweisbar mit dem Schwächeln und Bröckeln des Alte-Rosen-Management insgesamt korrelieren, wollte man denn diesbezüglich eine genauere Marktanalyse versuchen. Mir indessen genügt es hier, eine gewisse Wellenbewegung von Angebot und Nachfrage aus meiner Erfahrung eines Rosenverkäufers anzudeuten, in der das Zenit des »Englischen« erreicht zu sein scheint und von unten durch die Welle der »Alten Rosen« wieder auf ein gesundes Maß gebracht wird. Diese Wellenbewegungen in der Geschichte des Rosenmarktes sind gut nachzuspüren, ohne gleich Formeln der Statistik bemühen zu müssen.
Für die Rosenkultur sind diese Wellenbewegungen und Tendenzen des Rosenmarktes stets zu begrüßen, die jeden exorbitanten Ausschlag auf dem Rosenmarkt kurzlebig sein lassen: Die hässliche Zacke nach oben der gesamten Sparte »Alte-Rosen-Management« geht so langsam wieder in einer gleichförmigen Welle der Rosenkultur über, in der die Vielfalt zuhause ist.
Dies wird gewiss niemanden abhalten, der bekennender Liebhaber etwa »des Englischen« bleibt, Sorten von Austin und Gefolgschaft zu kaufen. Es ruckelt sich nur vernehmbar und überaus erfreulich für alle etwas besser zurecht, die »sich an anderen Dingen erfreuen« – wie es Homer formuliert.
Am besten ist es, dass man alles Gute kennt.[*]
[*] Ἄϱιστόν ἐστι πάντ´ ἐπίστασθαι καλά.
Men.Mon.15 (Menandros bzw. Menander, Monosticha), Aristophanes, Guileimi Dindorf, Paris (Firmin-Didot) 1884.
Echte Liebhaber …
Ein unschuldiger Haufen bunter, gefüllter, hübscher Blumen – die kultiviert werden wollen. So könnte man der modernen Zucht unbedarft begegnen. Es sind aber Zeitgenossen, die uns unbedingt »saniert alt« erscheinen sollen, mit allen Mitteln eines abstrusen, mächtigen Marketings der »Alten Rosen«. Beispiel Bourbon und Remontant
(…) sind durch die Englischen Rosen weitgehend verdrängt worden, echte Liebhaber Alter Rosen möchten sie aber dennoch kultivieren.
[Handbuch David Austin 2002, S. 30.]
»Echte Liebhaber«, Mr. Austin? Na, dann machen wir das mal so, wir kauzigen »Liebhaber«, die das vermeintlich Bessere zwar kennen, den ganzen alten Kram aber dennoch
kultivieren möchten …
Wissen Sie, Mr. Austin, ist Ihnen einmal der Gedanke gekommen, wenn Ihre Zeit vergangen und so manches Plagiat längst schon verstorben ist, lebt das alte Zeugs immer noch? In den Gärten, in den Köpfen, im Bauch und Herz?
Es ist wie bei einer Lektüre von HOMER. Sie sind einer der modernen Interpreten, die behaupten, deren belletristisch-romantische Interpretation der Klassischen Literatur sei besser gelungen als die Originale.
Wie aus Ihrem Zitat zu entnehmen, wohlahnend, dass Sie weder Gehalt noch Charme eines Homer versprühen könnten und dass mir Homer Dinge vermittelt, die Sie mit all Ihrem Deutungswillen schlicht übersehen.
Lesen aber mag halt ein jeder, was er will. Nur: Sie sind nicht Homer. Lesen wir also lieber einmal mehr Homer. Und wenn noch etwas Platz übrig ist, meinetwegen auch Ihre Bücher. Möglicherweise gesellt sich zur Klassik auch aus Ihrer Feder noch das eine oder andere dazu, was einer späteren Kultur lohne. Wer weiß das schon zu sagen …
Lesen Sie Homer – und pflanzen Sie Rosen …
Einen besseren Weg in die Kultur dieser Pflanze werden Sie nicht finden.