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Rosen und Kultur – ein Beispiel

Alle Kunst
ist Nachahmung der Natur

– Seneca (4 v.Chr.-65 n.Chr., röm. Gelehrter).

Inhalt

Bild Flora, Arcimboldo Flora – Arcimboldo etwa 1591, Rosenblüten eingebunden in künstlerische Sicht auf die (damalige) Pflanzenwelt.

Bild Der Frühling, Arcimboldo Der Frühling – Bild aus der Serie Vier Jahreszeiten. Figürliche Darstellung mit Blumen – u.a. Rosenknospen, Maiglöckchen, Pfingstrose, Löwenzahn, Walderdbeere. Arcimboldo, 1563.

Bild Vertumnus, Arcimboldo Vertumnus – Kaiser Rudolf II. im Porträt, 1591. Arcimboldo war Hofmaler in Wien. Rosen, Lilien und Gemüse.

Quelle: Arcimboldo, Wikipedia; dort finden Sie weitere Bilder dieses Malers.

Wildrosen und Kulturrosen …

Wildrosen hier – Kulturrosen dort? In der Tat macht diese Unterscheidung Sinn, wenngleich die Unterschiede sich nicht grob an den Begriffen »wild« und »kultiviert« festmachen lassen; wenn wir nämlich eine Wildrose in den Garten holen und pflegen, wird sie dann nicht ein Stück weit zu einer Kulturrose? Die Unterschiede der beiden liegen etwas verborgener in deren Herkunft und in deren Eigenschaften (…)

Über den Wandel des Wortes »wild«

Was in der freien Natur entstanden und dort ohne unser Zutun sich überlassen ist, nennen wir allgemein und seit alters her »wild« (ahd. wildi, ungezähmt, nicht veredelt und somit ungeregelt; alles, was unbeherrscht, fremd und sonderbar ist). (…) Verwandt mit dem Wort »Wald« (ahd. wald), nennt »wilder Wald« aber nicht bloß neutral einen Raum, der in seinem Naturzustand belassen ist, sondern auch unheimlich ist und ängstigt: ein unwirtlicher Ort, dunkel, undurchdringlich, ein Rückzugsgebiet für »finstere Gestalten« (den »wilden Gesellen«) und in dem all die »schaurigen Geister« und »übernatürlichen Wesen« leben, wie wir es aus den Märchen der Gebrüder Grimm noch überliefert finden. (…) Dieser Gefühlswert des ungezähmten und verwunschenen Ortes schwingt noch bis heute in den Wörtern »Wald« und »wild« mit, wenngleich die (romantischen) Dichter und Literaten für uns die Schönheit des Waldes entdeckt haben und die Unverfälschtheit des Wilden. (…) Sorglos wandern und spazieren gehen im »wilden Wald« ist daher eine rechte junge Erfindung der Romantik. (…) Die nüchternen Forstwirte heutiger Tage müssen hier einmal stellvertretend dafür stehen, dass wir »Wald« mitunter sogar schon ziemlich arg entzaubert wahrnehmen und dessen »Wildheit« längst schon gezähmt haben. »Aufgeforstet« ist »Wald« heute ein Zweig modern betriebener Landwirtschaft (…) Als ein Gegenentwurf zu dieser allzu aufgeräumt empfundenen, gänzlich kultivierten Landschaft darf Urwald und wild heute sogar wieder positiv werden, ganz im Sinne der Romantiker: »wild« als ursprünglich, natürlich und authentisch. (…) »Wild« und »Natur« sind uns heute bald Synonyme, aus einem wachsenden Verständnis heraus, dass selbst ein jedes »Unkraut« als »Wildkraut« zu bewahren und zu schützen ist (…) Und so entdecken wir in uns die »wilde Rose« wieder, in einem neuen, zugleich in einem überlieferten, in »ihrem« alten Charme: als all die wunderschönen Rosen der freien Natur, welche der frühen Dichtung die ersten und einzigen »Königinnen« waren …

Der feine Unterschied

»Wildrosen« ist heute ein Ordnungsbegriff, ein Sammelname für Rosen, die ohne unser Zutun auskommen: die Rosenarten. (…) Deren entscheidende Eigenschaft ist es, dass sie nicht nur unserer pflegenden Hände nicht bedürfen, vielmehr noch: sie bringen aus ihren Samen lebensfähige und im Kern artidentische Nachkommen hervor. Und hier finden wir den feinen Unterschied zu der Gruppe der Kulturrosen, denn was der Rosenzucht der vergangenen 200 Jahre nicht gelingt, ist das Hervorbringen von Rosenneulingen, die samenecht sind.

Wir können aus den Hagebutten unserer Kulturrosen – es sind weltweit grob geschätzt 25000–30000 Rosensorten – keine sortengleichen Nachkommen heranziehen!

Handskizze zum Rosenseminar Rosen veredeln Neues Verfahren der Rosenvermehrung: die Veredelung (Okulation), 1849 von Guillot (fils) eingeführt –

Das sog. Auge (die Knospe) eines Edelreis wird in den Wurzelhals einer Wildrose (der sog. Unterlage) eingesetzt. Die Unterlagen selbst sind samenechte Selektionen von Wildrosen, die sich für diese Vermehrung besonders gut bewährt haben …

Früchte von Moje Hammarberg Zwar eine Wildrosen-Hybride, jedoch eine gezüchtete Form: die schönen Früchte von ‘Moje Hammarberg’ bringen keine sortenidentische Nachkommen hervor.

Wie aber bewahren wir dann diesen Rosenschatz, wenn wir unsere Sorten nicht aus deren Samen erhalten können? Wir müssen sie vegetativ vermehren, z.B. durch Stecklinge, die wir anregen, neue Wurzeln zu bilden, durch das Abstechen von Wurzelausläufern von etablierten Pflanzen oder durch die Veredelung (Okulation). (…)

Durch den Verlust, nicht samenecht zu sein, überdauern unsere gezüchteten Rosen in der freien Natur somit nicht, sofern wir uns aber kümmern, bleiben sie uns erhalten. Das Wort „Kulturrose“ und „Rosenkultur“ bringt dies zum Ausdruck: Kultur nennen wir allgemein das, was wir selbst hervorgebracht haben – und pflegen (lat. colere, hervorbringen, bestellen: den Acker, den Garten; pflegen und bewohnen). So können wir zwar Wildrosen kultivieren, hervorgebracht aber haben wir sie selbstverständlich nicht. Wildrosen brauchen uns nicht; unsere Rosensorten aber schon. Und weil Rosen den Menschen auf diesen zwei Wegen seit Generationen begleiten, gehören Rosen, die eigenen wie die wilden Rosen, zu unserer Kulturgeschichte: Rosensymbol, Rosengarten, Rosenkrieg, Rosenliteratur, Rosenmarkt, Rosenzucht, Rosenkranz, die Poesie der Rose, Vasenrose, Rosenrezepte zeigen Ausschnitte aus unserer vielfältigen Geschichte mit Rosen.

(…) Allgemein kann man sagen, kümmern wir uns um unsere Kultur nicht, verlieren wir sie. Bewahren wir also unsere Rosensorten nicht, sterben sie einfach aus; der Natur ist es gleich. Verlieren wir aber eine selbst hervorgebrachte Rosensorte, ist dies durchaus vergleichbar mit dem Verlust anderer Artefakte unserer Kultur: mit Schriften aus der Literatur, mit Baudenkmälern, mit Gemälden und allgemein von Gegenständen der Überlieferung. Dickerson erinnert uns in Bezug auf die Alten Rosen und beispielhaft anhand von zwei großen Züchtern des 19. Jahrhunderts, Vibert und Larcharme, was für unsere Kultur allgemein gilt:

Wer die feinen Dinge des Lebens schätzt, liebt die schönen Dinge der Gartenbaukunst ebenso, wie er die Ergebnisse menschlichen Schaffens in den anderen Künsten schätzt. Die besondere Handschrift von Vibert oder Larcharme prägt ihre Arbeit ebenso, wie der Geist von Renoir, Arget oder Nijinsky deren Arbeit durchzieht.

– Brent C. Dickerson, The Old Rose Advisor, Vol. 1.

(…) Die Geschichte ist leider reich an Rosen, die nur noch auf dem Papier bekannt, jedoch für die Gartenkultur nicht mehr aufzufinden sind, wenngleich immer wieder Rosen in alten Bauerngärten, Parkanlagen oder Knicks als unbekannte Sorten entdeckt, so gut als möglich mit Hilfe der Morphologie (z.T. der Genetik) klassifiziert oder anhand von älteren Rosenbeschreibungen und Rosenkatalogen, mit Hilfe von alten Gemälden, Aquarellen und Stichen als verloren geglaubte Sorten identifiziert und gerettet werden können. (…)

Wie hüten wir unseren Rosenschatz — ein Beispiel

Gallica-Rose ‘Perle von Weißenstein’, Schwartzkopf 1773/85 (Zuchtjahr unklar), Kassel. Gilt als die erste deutsche Züchtung.
Blüte leider überhaupt nicht regenfest.

(…) Berühmtes Beispiel ist die Wiederentdeckung der Sorte ‘Perle von Weißenstein’ von Daniel August Schwartzkopf (1738-1817). Im Jahr 1978 entdeckte das Ehepaar Hedwig und Dr. Wernt Grimm im Park Wilhelmshöhe, Kassel, ein kleines, wurzelechtes Pflänzchen, das anhand der Aquarelle von Salomon Pinhas (1759-1837) eindeutig als Gallica-Rose und als jene verloren geglaubte Sorte von Schwartzkopf identifiziert und wieder vermehrt werden konnte. Die Geschichte um diese Rose ist aufschlussreich, zeigt sie doch, wie Rosen in unsere Kulturgeschichte eingebunden sind und auf welchen mitunter verschlungenen Wegen solche Rosenschätze als eindeutig klassifizierte Sorte, einst ja mühsam gezüchtet und liebevoll getauft, für unsere Kultur zurückgewonnen werden können.
Schwartzkopf war Hofgärtner des Landgrafen Friedrich II. von Hessen (Regentschaft 1760–1785), der 1767 nach dem Vorbild des damals neuen Stils Englischer Landschaftsgarten den Park Weißenstein anlegen ließ, einschließlich der in diesem Park integrierten Rosenpflanzungen. (…) Im Rahmen der Umbauten und der Fortführung des Parks ab 1785 durch den Landgrafen Wilhelm IX. (Kurfürst Wilhelm I., ab 1806) erhielt der Park 1798 den neuen und heutigen Namen Park Wilhelmshöhe. (…) Salomon Pinhas war Hofminiaturmaler unter dem neuen hessischen Kurfürsten Wilhelm I.. (…)
Im Rahmen der Rekonstruktion und Neugestaltung der Rosenanlage Wilhelmshöhe in den 1970 Jahren wurden die Rosenaquarelle Pinhas in der Schlossbibliothek allererst wieder aufgefunden. Vormals hatte man nur anhand einzelner Belege aus der Literatur Kenntnis von der Existenz dieser Sammlung. Von den laut Inhaltsverzeichnis 150 Bildtafeln sind 133 erhalten, darunter die ‘Perle von Weißenstein’ (Blatt 63). (…) Ein glückliches Zusammentreffen zweier Funde: einer Rose und ihrer Bildtafel. (…) Weitere schriftlich belegte Rosenneuheiten von Schwartzkopf sind als Pflanzen leider weiterhin verloren.[1]

Offenbar bestand ein Austausch von Rosen zwischen dem Park Wilhelmshöhe und dem berühmteren Schlosspark Malmaison der Kaiserin Josephine, Frankreich. Ein Briefwechsel zwischen der westfälischen Königin Catherina und ihrer Schwägerin Joséphine von 1809 belegt dies (Quelle: ebd.). (…) In dem Prachtband Jardin de Malmaison des Franzosen Pierre Joseph Redouté (1759-1840) finden sich ferner einige Rosen, die auch in Kassel bekannt waren, so die ‘Perle von Weißenstein’ unter dem Namen ‘R. provins perle de Veisseuslein’. Der Franzose Redouté, ein Zeitgenosse Pinhas, malte seine Rosenporträts im Auftrage der französischen Kaiserin in den Jahren 1803-1805; seine Sammlung enthält 120 Tafel, zusätzlich kommentiert vom Botaniker Thory, und erschien 1817 bis 1824: Ein erstes Rosenbuch — wenn auch nur für gehobene Kreise! (…) Redouté war wie Pinhas eine wichtige Figur in der Begründung der botanischen (wissenschaftlichen) Blumenmalerei, wohl angeregt durch die holländischen Stilllebenmaler, welche durch naturgetreue Wiedergabe im Detail heutige Identifizierungen von aufgefundenen Pflanzen erheblich erleichtern. (…)

Obgleich die Perle eine ausgeprägte Neigung hat, ihre festen Blütenblätter nicht stets zu entfalten, können wir diese erste deutsche Rosenzüchtung nach über 200 Jahren heute wieder pflanzen! Wir verdanken dies den leider verstorbenen Eheleuten Grimm, die auch für eine Neuauflage der Rosenaquarelle von Pinhas sorgten und mithalfen, den Rosengarten im Park Wilhelmshöhe zu rekonstruieren und – im Rahmen des Denkmalschutzes – neu anzulegen. Es sei auf die umfangreichen Arbeiten der beiden aufmerksam gemacht: www.roseninsel-kassel.de/persoenl.html
Auch die Sammlung von Gerda Nissen, die in norddeutschen Bauerngärten und Knicks besonders eine Vielzahl von Gallica-Sorten glücklich wiederentdeckte, sei stellvertretend für eine Vielzahl von Rosengärtnern aufgeführt, welche sich gezielt dem Erhalt der Vielfalt widmen; deren Arbeiten sind nicht genug zu würdigen. (…)
Stellvertretend für die verschiedenen Rosensammlungen und Rosarien sei stets das Europa-Rosarium Sangerhausen aufgeführt, in Kooperation mit Rosengärtnern und Rosenvereinen sind sie alle bemüht, auch diejenigen Rosensorten zu bewahren, die nicht unbedingt einen aktuellen Wert für den Rosenmarkt besitzen. Ihr Genbestand aber und ihre Bedeutung für die Kulturgeschichte der Rose macht deren Erhalt zur wundervollen Aufgabe und zur Pflicht zugleich. (…)

Bildtafel

Bildtafel zur Sorte und zur Geschichte von Herrn Dietz, eingefügt Mai 2023 – mit Dank für die Tafel:

Bildtafel Dietz, ‘Perle von Weißenstein’

Schlussgedanke

Über all diese Engagements für den Erhalt der Rose und ihrer Kultur hinaus hüten wir jedoch unseren Rosenschatz am besten, indem wir einfach mit ihm gärtnern. Wenn wir also aus unserer wunderbaren Vielfalt an Rosen auswählen, bewahren wir unsere Sortenvielfalt und leisten stets ein Stück Kulturarbeit! Darüber kann die Rose nicht nur ein attraktives Element für raffinierte Gartengestaltungen sein, vielmehr ein Arcimboldo und eine Éva Kónya, eine ‘Marie Curie’ und ein ‘Commandant Beaurepaire’ des Gartens. Für die Auswahl solcher Rosen-Gemälde und Persönlichkeiten helfen besonders die neutralen, die differenzierten und detailfreudigen Klassifikationen, einen geordneten Ein- und Überblick zu bekommen, ähnlich vielleicht den Nachschlagewerken über die Artefakte der Kunst. Und es ist darüber bereichernd, frei und kenntnisreich schon bei der bloßen Lektüre zu entdecken, welche Rosen von damals und heute wir pflanzen und pflegen! Und in unseren Gärten auch pflanzen und pflegen können (…)

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